Das Dental Emergency Team ist eine Hilfsorganisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, Menschen in Not eine zahnmedizinische Grundversorgung (z.B. in Polen geflüchteten Menschen aus der Ukraine) zu ermöglichen.
Dr. Alexander Schafigh, Fachzahnarzt für Oralchirurgie in Bochum, ist 1. Vorsitzender des Vereins “Dental-EMT” (Dental Emergency Team e. V.).
Zusammen mit der Organisation STELP bauten sie einen Rettungswagen zur mobilen Zahnarztpraxis aus, um Geflüchteten da Hilfe anzubieten, wo sie benötigt wird.
Durch seinen funktionellen Aufbau ist fast jede zahnmedizinische Behandlung möglich. Vor Ort führen sie Notfallversorgungen wie Extraktionen, Abszesseröffnungen, initiale PA-Behandlungen, Füllungen und endodontische Maßnahmen durch.
Wir haben Dr. Schafigh ein paar Fragen gestellt und herausgekommen ist ein sehr schönes und berührendes Interview.
Wir möchten ihn und seine Organisation unterstützen - die Hilfsmöglichkeiten sind vielfältig (Links am Ende des Artikels). Aktuell soll z.B. ein zweites Fahrzeug gebaut werden, das europaweit und in akuten Krisengebieten seine Dienste anbieten wird.
Luise: Hallo Herr Dr. Schafigh, vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben für unser Interview. Stellen Sie sich doch einmal vor!
Dr. Schafigh: Ja, freut mich. Ich bin Alexander Schafigh, bin 54 Jahre alt und Vater von drei Kindern, stolzer Opa seit einem dreiviertel Jahr und habe zusammen mit meinem Freund und Kollegen Armin Reinartz 2020 das “Dental Emergency Team" gegründet und seitdem sind wir aktiv.
Luise: Schön. Was genau ist das denn, das “EMT”?
Dr. Schafigh: Das “Dental Emergency Team" ist eine zahnmedizinische Hilfsorganisation, die sich im Prinzip um die Belange der geflüchteten Menschen, genauer: um die zahnmedizinischen Belange der geflüchteten Menschen, kümmert. Wir haben in verschiedenen Auslandseinsätzen festgestellt, dass das Thema “Zahnmedizin” völlig unterrepräsentiert ist und irgendwie nicht auf dem Schirm der Verantwortlichen ist. Deswegen haben wir uns dann entschieden, dass wir das ändern wollen und haben das “Dental Emergency Team” gegründet.
Luise: Seit wann besteht es?
Dr. Schafigh: Wir sind im Prinzip 2019 zusammen im Einsatzgebiet auf der Insel Lesbos, in dem großen Flüchtlingslager Moria, gewesen und haben dann 2020 eine Partnerorganisation der Organisation gegründet, mit der wir damals vor Ort waren. Wir haben 2020 unseren eigenen Verein gegründet, damals noch “Health Point Foundation Support Germany” und der wurde dann 2021 in “Dental Emergency Team” umbenannt
Luise: Interessant und wie gelangen die Menschen, die eine zahnmedizinische Behandlung brauchen, zu ihnen?
Dr. Schafigh: Na ja, wir sind ja in den Flüchtlingslagern vor Ort und die Menschen wissen dann, dass der Zahnarzt da ist. Das Projekt Griechenland, was momentan aber so ein bisschen “on hold" ist, weil die griechische Regierung uns die Lizenz, in den Lagern zu arbeiten, gekündigt hat. Wir sind da gerade dabei, das wieder zu erlangen beziehungsweise andere Wege zu finden. Auf der anderen Seite gibt es unser "Zahnmobil" - das ist ja auch die Aktion, über die Ihre Firma und wir in Kontakt gekommen sind. Damit sind wir an der polnischen Grenze in Polen unterwegs und fahren dann verschiedene Unterkünfte und Lager an. Dann wissen die Geflüchteten dort: “Okay, diese Woche kommt ein Zahnarzt!” und können sich dann in die entsprechenden Listen eintragen.
Luise: Und wie ist es dann?
Dr. Schafigh: Die Geflüchteten kommen dann zu dem Bus, sagen Bescheid, dass sie Hilfe brauchen und stellen sich dann in eine Reihe.
Luise: Und Sie sortieren das nach Dringlichkeit?
Dr. Schafigh: Also, das haben wir in Griechenland in den Lagern gemacht. Hier ist es jetzt so, dass Termine gebucht werden und dann wird das vor Ort terminmässig abgearbeitet.
Luise: Das sind ganz verschiedene zahnmedizinische Belange, oder?
Dr. Schafigh: Also alles, was wir täglich auch hier erleben. Wir können alles bedienen und machen, sind dort im Prinzip auf Medizin, Notfälle, auf Therapien und so ein paar parodontologische Problemfälle spezialisiert und haben das in unser Portfolio aufgenommen. Wir können natürlich keine Prothesen machen, Brücken machen, Kronen machen oder, geschweige denn, Implantate. Es geht hier primär wirklich um “Schmerz” und “Not”.
Luise: Okay, und wie ist die Resonanz? Wie viele Patient:innen behandeln Sie am Tag?
Dr. Schafigh: Plus/minus 30 Patienten haben wir am Tag - das ist das, was das Zeitfenster bis 15 Uhr hergibt - mehr geht einfach zeitlich nicht, dann würde man dem Patienten nicht gerecht werden. Wenn es noch was gibt, gibt es Folgetermine.
Luise: Es ist ja ein umgebauter Bus, den sie da verwenden. Wer hat den für sie gebaut oder haben sie sich das selber gemacht?
Dr. Schafigh: Ja, also ja, wir haben ein Vereinsmitglied, Christian Novoselac, der ist gelernter Anlagenmechaniker und Rettungssanitäter. Und er hat uns im Prinzip gesagt, dass er das umbaut und hat es dann auch umgesetzt.
Luise: Wow. Sie hatten dann aber auch Hilfe von medizinischen Ausstattern? Ist das so, wie wenn man eine Praxis ausstattet, nur dann angepasst an den Rahmen, den sie zur Verfügung hatten?
Dr. Schafigh: Also nicht wirklich. Wir haben ganz zum Schluss einen Dentaltechnikerdrüber gucken lassen, der uns noch mal so den letzten Schliff gegeben hat, aber im Prinzip haben wir das selbst gemacht und auch umgebaut. Finanziell sind wir da von dem Verein “STELP Stuttgart" unterstützt worden, mit denen wir diesen Wagen offiziell gemeinsam betreiben. Das heißt, STELP hat einen großen Teil der Finanzierung übernommen und wir kümmern uns darum, dass der Wagen letztendlich besetzt wird. Und um die Ausstattung und die Verbrauchsmaterialien.
Luise: Mit wie vielen Personen sind sie dann immer vor Ort im Einsatz?
Dr. Schafigh: In der Regel mit zwei Zahnärzten oder einem Arzt und einem Zahnarzthelfer. Der Wagen ist immer mit zwei Personen ausgestattet!
Luise: Und wie planen Sie persönlich diese Einsätze dort? Wann legen Sie fest, wann Sie da sind, weil Sie ja selbst noch als Zahnarzt tätig sind? Wie stimmen Sie das mit Ihrem restlichen Berufsleben und allen anderen Dingen ab?
Dr. Schafigh: Das ist mein Urlaub! Das heißt, ich versuche im Jahr einige Wochen meines Urlaubs in den verschiedenen Institutionen zu verbringen.
Luise: Das ist ja ganz großartig. Wie macht Ihre Familie dies mit?
Dr. Schafigh: Meine Tochter ist selbst Zahnärztin. Sie hat diese Einsätze eigentlich immer mit begleitet oder selbstständig gemacht. Wir haben gleichzeitig angefangen. Sie ist nach Afrika und ich bin nach Griechenland geflogen, weil sie einen Einsatz besetzen musste, den ich vor vielen, vielen Jahren mal geplant hatte. Leider hatte sich nie etwas ergeben und auf einmal waren beide Einsätze gleichzeitig. Dann hat sie gesagt, sie fliegt nach Afrika und ich fliege nach Griechenland. Wir sind familiär da sehr, sehr eng an die Projekte gebunden.
Luise: Ja, das ist schön, das macht es vielleicht auch dann so ein bisschen leichter, wenn dieser Rückhalt da ist.
Dr. Schafigh: Ja, das stimmt.
Luise: Und jetzt nochmal eine andere Frage: Wie ist denn das, bekommen sie dafür auch Geld oder müssen die Patient:innen in irgendeiner Weise versichert sein, um in die Behandlung bei ihnen zu gehen? Das ist ja sicherlich in diesen Gebieten schlicht nicht gegeben.
Dr. Schafigh: Wir sind 100 % probono, das heißt, es wird kein Geld verlangt. Es wird nichts erwartet, alles wird komplett kostenlos gemacht. Wir werden finanziell von der Industrie unterstützt, wie zum Beispiel von Dampsoft, die einen ganz großen finanziellen Beitrag leisten.
Wir werden von Ihrer Firma, Dr. Flex, unterstützt, indem Sie kostenlos Ihr Buchungsportal zur Verfügung stellen. Wir werden von verschiedenen zahnmedizinischen Firmen mit Material unterstützt und wir bekommen immer mal wieder Geldspenden von Menschen, die sagen, die finden es ganz toll, was wir an Arbeit leisten. Und wir stecken unser eigenes Geld rein. Das heißt, wenn wir dort sind oder Kolleginnen und Kollegen vor Ort sind, da wird alles vom Verein gestellt, außer der Unterkunft und der Anreise, das muss jeder zahlen.
Luise: Das ist ganz großartig und berührend finde ich, dass sie das machen.
Dr. Schafigh: Dankeschön.
Luise: Bitteschön. Wie sieht der Alltag dort aus? Sie haben es ja schon so ein bisschen angedeutet…
Dr. Schafigh: Unterschiedlich - Griechenland und Polen sind unterschiedlich. In Griechenland war das so, dass wir in dem Lager nur nachmittags arbeiten durften, weil in dem Bereich, wo die Klinik steht, auch die griechischen Asylbehörden untergebracht waren - und die wollten einfach keinen Publikumsverkehr. Das heißt, wir sind am Vormittag in der Regel in den Erstaufnahmelagern gewesen, in den sogenannten Quarantäne-Lagern, wo die Menschen waren, die von dem Boot kamen. Wir sind dann in das eigentliche Lager gefahren und haben dort von nachmittags bis spät abends behandelt.
In Polen ist es so, dass wir um neun Uhr in aller Regel starten. Dann gibt's ein bisschen Vorbereitungsarbeit, es gibt ein bisschen Sterilisationsarbeit, die noch gemacht werden muss. Dann wird bis 19 Uhr gearbeitet, dann wird alles sauber gemacht, man sterilisiert vielleicht das eine oder andere schon mal, geht dann in seine Unterkunft zurück und fällt in aller Regel auch todmüde ins Bett. Da ist dann nicht mehr viel, was an Zeitgestaltung noch übrig bleibt. Wie gesagt, von Einrichtung zu Einrichtung ist das unterschiedlich.
Luise: Verstehe. Gibt es noch was, was sie uns erzählen wollen, was ich nicht gefragt habe?
Dr. Schafigh: Sie wollten noch wissen, wie wir zu der Idee mit dem Rettungswagen gekommen sind. Das ist eigentlich eine nette Geschichte. Als das Lager Moria gebrannt hat und die Menschen dort aus diesem Lager letztendlich raus mussten, sind 14 Tage später Kollege Armin Reinartz und ich nach Lesbos geflogen. Wir hatten die Koffer voller Instrumente, einen Sterilisator und Material, letztendlich ist eine Vielzahl an Instrumentarium im Lager verbrannt. Dann haben wir gesagt, wir kommen jetzt dahin und kamen neu im Lager an, wo keine Behausung war, wo wir arbeiten konnten.
Sie erinnern sich vielleicht, dass die meisten Menschen dort in diesem Lager Moria, was direkt an der Küste lokalisiert war, gehaust haben. Es gab also weder vernünftige Toilettenanlagen noch Waschgelegenheiten für die über 10.000 oder 15.000 Geflüchteten, die damals noch da waren. Die medizinische Versorgung hatte zu dem Zeitpunkt das norwegische Kriseninterventionsteam inne, die von der griechischen Regierung angefordert worden ist.
Als wir dort ankamen, waren alle froh, dass wir als Zahnärzte da waren. Ich erinnere mich noch, dass die Anästhesistin dieses Teams sagte: “Super, dass ihr da seid! Wir hatten jetzt schon 2/3 Fälle, wo wir dann selber mit der Rohrzange Zähne gezogen haben.” Wir brauchen euch dringend! Dann hat man uns den Wagen der Hebamme zur Verfügunggestellt, und dieser hatte einen Stuhl, der unserem sehr ähnlich war. Die Hebamme ist dann in einen kleinen Container gezogen, den die Norweger noch mit dabei hatten und dann haben wir in dem Wagen aufgebaut. Und da ist die Idee entstanden, ein solches mobiles Fahrzeugzu erstellen und aufzubauen, um damit auch wirklich an verschiedene Orte zu kommen.
Zu Beginn des Ukraine-Krieges war es einfach so, dass wir gesagt haben: “Ok, wir haben jetzt lange drüber gedacht - wir müssen jetzt einen Partner finden, der uns da finanziell unterstützt." Also ich kann sagen, dass das Fahrzeug in seiner momentanen Ausstattung ungefähr einen Wert von 120.000 €hat.
Wir sind ein ganz kleiner Verein, wir könnten das alleine nicht machen, deswegen sind wir dem Verein STELP sehr dankbar, dass sie uns da finanziell unter die Arme gegriffen haben. Ja, und dann haben wir das in die Tat umgesetzt! Und wie gesagt, wir haben seit Mitte Mai bis jetzt schon ungefähr 1200 Patienten vor Ort behandelt und hoffen einfach auf kräftige Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen, denn die Frage, die bei der Abreise immer gestellt wird, ist: “Kommt ihr bald wieder?”
Das wollen wir natürlich bejahen, aber dafür brauchen wir Unterstützung in jeglicher Form, sei es also in materieller Form, sei es in finanzieller Form und vor allen Dingen auch personeller Form! Wir brauchen dringend Kolleginnen und Kollegen und natürlich auch Assistenzpersonal, die dabei helfen, dass wir den Menschen so ein bisschen das Leben einfacher machen können. Denn als Geflüchteter ist das Leben schon schlimm genug. Wenn man dazu dann auch noch Schmerzen hat, dann ist die Situation überhaupt nicht schön.
Luise: Ja, das stimmt. Wir versuchen mit dem Video natürlich auch so einen kleinen Aufruf zu starten, dass es noch präsenter wird und dass die Menschen einfach wissen, dass es sie gibt und dass sie Hilfe brauchen!
Dr. Schafigh: Das ist super. Darüber freuen wir uns sehr.
Luise: Zu der Wichtigkeit Ihres Projektes ist noch zu sagen: man denkt natürlich nicht als erstes an den Zahnarzt, wenn man über Hilfe für geflüchtete Menschen und Menschen in ohnehin schon schlimmen Situationen denkt. Aber wenn man einmal schon starke Zahnschmerzen hatte, weiß man ja, wie schlecht es einem gehen kann. Und wenn dann niemand da ist, um zu helfen… Es ist total gut, dass auch an sowas gedacht wird!
Dr. Schafigh: Das ist halt einfach das Problem. Wir sind natürlich nicht in der “First Line", wenn Katastrophen entstehen - dann ist der Zahnarzt sicherlich nicht vonnöten. Wir sehen das jetzt in den Erdbebengebieten in der Türkei. Nach spätestens 2/3 Wochen geht das ganze wieder in die Normalität über - und da gibt es Menschen, die Zahnschmerzen haben und soweit denkt keiner. Daher bin ich auch glücklich, dass wir jetzt mit unserem mobilen Fahrzeug da vielleicht, in späterer Zukunft auch, bei solchen Fällen vor Ort sein und helfen können.
Luise: Ja, ganz großen, vielen Dank. Man könnte natürlich auch ewig darüber reden, aber wir müssen uns jetzt mal eine Grenze setzen! Herr Dr. Schafigh, vielen lieben Dank für dieses tolle Interview. Ich wünsche Ihnen auch persönlich eine gute Zeit und viel Freude an ihrem neuen Enkelkind und an all den anderen Sachen.
Dr. Schafigh: Danke, danke, alles Gute! Danke, Tschüss.
Das Team lebt davon, von Freiwilligen durch ihren Einsatz supportet zu werden - entweder durch den Einsatz vieler helfender Hände vor Ort oder durch finanzielle Hilfen und Sachspenden. Unterstützt dieses tolle Projekt!
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